Post by Admin on Nov 22, 2017 17:10:52 GMT
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Deutschland nach dem Jamaika-Aus:
----> Im Nebel
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Von Florian Gathmann
Aktualisiert am 21. November 2017, 20:35 Uhr
In Kooperation mit Spiegel Online
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Kein Jamaika-Bündnis, keine Aussicht auf eine neue Große Koalition - bleibt nur die Bildung einer Minderheitsregierung.
Oder doch Neuwahlen ?
Die Politik demonstriert Normalität - dabei weiß keiner, wie es weitergeht.
Dass der Nebel das Reichstagsgebäude einhüllt, genau wie das unweit gelegene Kanzleramt, ist in diesen Tagen nichts Ungewöhnliches.
Der November macht Berlin gerne einmal undurchlässig grau, das Wasser der Spree, die sich mitten durch das Regierungsviertel zieht, tut das Übrige dazu.
Aber diese Novembertage legen einen ganz anderen Nebel über das politische Berlin.
Einen, der nichts mit der Witterung zu tun hat - und dafür umso undurchdringlicher erscheint.
Er sorgt dafür, dass die Orientierung beinahe unmöglich wird.
Dafür, dass zwei Monate nach der Bundestagswahl immer noch völlig unklar ist, wer künftig die Regierung bilden wird.
Oder gibt es am Ende nur eine Minderheitsregierung - oder doch direkt wieder Neuwahlen?
----> "Keine Staatskrise"
"Es ist eine Bewährungsprobe, aber keine Staatskrise", sagte am Dienstagmorgen Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble zur Eröffnung der Bundestagssitzung.
Der CDU-Politiker wollte wahrscheinlich beruhigend klingen.
Dabei besteht zur Beruhigung bisher wenig Anlass: Die Deutschen sind offenbar gar nicht beunruhigt.
Nur jeder vierte Befragte erwartet laut einer Umfrage des Civey-Instituts negative Auswirkungen wegen der geplatzten Jamaika-Sondierungen, knapp drei Prozent sehen sehr negative Folgen.
Dabei hat der Abbruch der Sondierungen in der Nacht von Sonntag auf Montag die Bundesrepublik in eine Lage gebracht, wie sie es in den 68 Jahren ihrer Existenz noch nicht erlebt hat: Nach dem gescheiterten Versuch von CDU, CSU, FDP und Grünen, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, gibt es kaum noch Aussichten darauf, dass die Bildung einer Regierung gelingt, wie es Deutschland gewohnt ist.
Also mit einer Mehrheit.
Man stelle sich nur mal vor, was in diesem Land jetzt los wäre, ginge es den Deutschen nicht so gut.
Aber zum Glück brummt die Wirtschaft wie lange nicht mehr, Weihnachten wird in den meisten Familien selten üppig ausfallen.
----> Hauptsache Angela Merkel ist da
Und irgendwie hat man sich in den vergangenen Jahren wohl daran gewöhnt, dass schon alles läuft, solange Angela Merkel da ist.
Die CDU-Chefin ist zwar nur noch geschäftsführende Kanzlerin - aber sie ist noch da.
Der Berliner Politikbetrieb tut eine Menge dafür, trotz der Jamaika-Pleite Normalität zu demonstrieren - allen voran ebenjene geschäftsführende Kanzlerin.
Das war am Montagabend in den Interviews bei ARD und ZDF zu erleben, am Dienstag nahm Merkel im Bundestag Platz auf der Regierungsbank, als handele es sich um eine ganz normale Sitzung.
Merkel will auch wie geplant zum EU-Treffen mit den Vertretern der Afrikanischen Union Ende November in die Elfenbeinküste nach Abidjan fliegen, ebenso zum Eurozonen-Gipfel am 15. Dezember in Brüssel.
Theoretisch könnte sie dort genauso agieren wie bisher.
Tatsächlich wird Merkel in Westafrika und Belgien nicht viel mehr als Zuhören können, denn eine geschäftsführende Regierung soll so wenig wie möglich entscheiden, um den Entscheidungsspielraum der Nachfolger nicht unnötig zu verengen.
Besonders absurd wird die Situation dadurch, dass ein Teil der geschäftsführenden Regierung von jener SPD gestellt wird, die partout nicht eine neue Große Koalition eintreten will.
----> Bundestag arbeitet weiter
Andererseits kann die Zeit ja nicht angehalten werden wegen der Unpässlichkeiten der deutschen Politik.
So wurde am Dienstag im Bundestagsplenum unter anderem die Verlängerung von fünf internationalen Bundeswehr-Einsätzen debattiert, zudem ging es um die Konformität von Ankäufen der Europäischen Zentralbank.
Es war erst die zweite Sitzung des Bundestags seit der Wahl vom 24. September, immerhin die Einsetzung eines Hauptausschusses wurde nun beschlossen, der die wichtigsten parlamentarischen Entscheidungen beraten soll, sowie die Einsetzung des Petitionsausschusses und des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung.
Mehr passiert erst mal nicht im Bundestag - weil ja niemand weiß, wie es weitergeht.
Viele Abgeordnete richten sich sogar schon wieder auf Neuwahlen im Frühjahr ein.
---> Wozu sich da also zu sehr parlamentarisch engagieren ?
Die SPD hat am Montag mit einstimmigem Vorstandsbeschluss den Gang in eine erneute Koalition mit der Union ausgeschlossen - dass entsprechende Bemühungen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier daran etwas ändern werden, ist sehr unwahrscheinlich.
Die Hoffnungen vor allem der Union, dass der Druck von Steinmeier und anderen gesellschaftlichen Kräften wie Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden die SPD zum Umdenken bewegen wird, dürften bald zerstoben sein.
Steinmeier spricht auch mit den Parteivorsitzenden der gescheiterten Jamaika-Sondierer, er hat an aller Verantwortungsbewusstsein appelliert, Erfolgsaussichten: auch hier gegen null.
---> Kann Deutschland von Minderheit regiert werden ?
Also steuert Deutschland wohl demnächst auf die Bildung einer Minderheitsregierung zu.
Nur mal zur Erinnerung: Die Rede ist von der größten Volkswirtschaft Europas, einem der wichtigsten Nato-Partner.
In Brüssel machen sich derzeit viele Sorgen um die politische Stabilität dieses Landes, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron suchte seit dem Jamaika-Scheitern mehrfach den Kontakt mit Merkel, in Großbritannien hofft die Regierung bereits, aus der deutschen Lage einen Vorteil in den Brexit-Verhandlungen zu gewinnen.
Irgendwann in den nächsten Wochen wird der Bundespräsident CDU-Chefin Merkel mit der Bildung einer Regierung beauftragen, weil sie aus der Unionsfraktion im Bundestag die meisten Stimmen auf sich vereinen würde.
Schafft sie in zwei Wahlgängen - im Abstand von zwei Wochen - keine absolute Mehrheit, reicht im dritten Durchgang die relative Mehrheit der Stimmen.
Dann hat es Steinmeier in der Hand: Er kann Merkel als Minderheitskanzlerin ernennen - oder den Bundestag auflösen, Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen wären die Folge.
----> Steinmeier gegen Neuwahlen
Der Bundespräsident hat signalisiert, dass er keine Neuwahlen will.
Aber eine Minderheitsregierung ?
Also werden unter der Hand sogar schon Termine genannt, an denen ein neuer Bundestag gewählt werden könnte: der 22. April 2018 beispielsweise.
Damit dieses Datum erreicht wird, müsste Steinmeier aber noch viele Wochen Gespräche führen, bis er Merkel mit der Regierungsbildung beauftragt. Schwer vorstellbar.
Auch die Idee, erst im Herbst zu wählen, parallel zu den Landtagswahlen in Bayern, kursiert. Wie das formal zu erreichen wäre ?
Völlig unklar.
Ob die SPD aus Angst vor Neuwahlen, bei denen sie möglicherweise nochmals verlieren würde, am Ende doch noch eine GroKo-Wiederauflage versucht ?
Oder kommt die FDP schließlich zurück an den Verhandlungstisch - und Jamaika gelingt ?
Der politische Nebel ist wirklich dicht in diesen Tagen.
***
Quelle:
SPIEGEL ONLINE
Quelle der Quelle:
home.1und1.de/magazine/politik/wahlen/bundestagswahl/deutschland-jamaika-nebel-32640182
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Deutschland nach dem Jamaika-Aus:
----> Im Nebel
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Von Florian Gathmann
Aktualisiert am 21. November 2017, 20:35 Uhr
In Kooperation mit Spiegel Online
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Kein Jamaika-Bündnis, keine Aussicht auf eine neue Große Koalition - bleibt nur die Bildung einer Minderheitsregierung.
Oder doch Neuwahlen ?
Die Politik demonstriert Normalität - dabei weiß keiner, wie es weitergeht.
Dass der Nebel das Reichstagsgebäude einhüllt, genau wie das unweit gelegene Kanzleramt, ist in diesen Tagen nichts Ungewöhnliches.
Der November macht Berlin gerne einmal undurchlässig grau, das Wasser der Spree, die sich mitten durch das Regierungsviertel zieht, tut das Übrige dazu.
Aber diese Novembertage legen einen ganz anderen Nebel über das politische Berlin.
Einen, der nichts mit der Witterung zu tun hat - und dafür umso undurchdringlicher erscheint.
Er sorgt dafür, dass die Orientierung beinahe unmöglich wird.
Dafür, dass zwei Monate nach der Bundestagswahl immer noch völlig unklar ist, wer künftig die Regierung bilden wird.
Oder gibt es am Ende nur eine Minderheitsregierung - oder doch direkt wieder Neuwahlen?
----> "Keine Staatskrise"
"Es ist eine Bewährungsprobe, aber keine Staatskrise", sagte am Dienstagmorgen Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble zur Eröffnung der Bundestagssitzung.
Der CDU-Politiker wollte wahrscheinlich beruhigend klingen.
Dabei besteht zur Beruhigung bisher wenig Anlass: Die Deutschen sind offenbar gar nicht beunruhigt.
Nur jeder vierte Befragte erwartet laut einer Umfrage des Civey-Instituts negative Auswirkungen wegen der geplatzten Jamaika-Sondierungen, knapp drei Prozent sehen sehr negative Folgen.
Dabei hat der Abbruch der Sondierungen in der Nacht von Sonntag auf Montag die Bundesrepublik in eine Lage gebracht, wie sie es in den 68 Jahren ihrer Existenz noch nicht erlebt hat: Nach dem gescheiterten Versuch von CDU, CSU, FDP und Grünen, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, gibt es kaum noch Aussichten darauf, dass die Bildung einer Regierung gelingt, wie es Deutschland gewohnt ist.
Also mit einer Mehrheit.
Man stelle sich nur mal vor, was in diesem Land jetzt los wäre, ginge es den Deutschen nicht so gut.
Aber zum Glück brummt die Wirtschaft wie lange nicht mehr, Weihnachten wird in den meisten Familien selten üppig ausfallen.
----> Hauptsache Angela Merkel ist da
Und irgendwie hat man sich in den vergangenen Jahren wohl daran gewöhnt, dass schon alles läuft, solange Angela Merkel da ist.
Die CDU-Chefin ist zwar nur noch geschäftsführende Kanzlerin - aber sie ist noch da.
Der Berliner Politikbetrieb tut eine Menge dafür, trotz der Jamaika-Pleite Normalität zu demonstrieren - allen voran ebenjene geschäftsführende Kanzlerin.
Das war am Montagabend in den Interviews bei ARD und ZDF zu erleben, am Dienstag nahm Merkel im Bundestag Platz auf der Regierungsbank, als handele es sich um eine ganz normale Sitzung.
Merkel will auch wie geplant zum EU-Treffen mit den Vertretern der Afrikanischen Union Ende November in die Elfenbeinküste nach Abidjan fliegen, ebenso zum Eurozonen-Gipfel am 15. Dezember in Brüssel.
Theoretisch könnte sie dort genauso agieren wie bisher.
Tatsächlich wird Merkel in Westafrika und Belgien nicht viel mehr als Zuhören können, denn eine geschäftsführende Regierung soll so wenig wie möglich entscheiden, um den Entscheidungsspielraum der Nachfolger nicht unnötig zu verengen.
Besonders absurd wird die Situation dadurch, dass ein Teil der geschäftsführenden Regierung von jener SPD gestellt wird, die partout nicht eine neue Große Koalition eintreten will.
----> Bundestag arbeitet weiter
Andererseits kann die Zeit ja nicht angehalten werden wegen der Unpässlichkeiten der deutschen Politik.
So wurde am Dienstag im Bundestagsplenum unter anderem die Verlängerung von fünf internationalen Bundeswehr-Einsätzen debattiert, zudem ging es um die Konformität von Ankäufen der Europäischen Zentralbank.
Es war erst die zweite Sitzung des Bundestags seit der Wahl vom 24. September, immerhin die Einsetzung eines Hauptausschusses wurde nun beschlossen, der die wichtigsten parlamentarischen Entscheidungen beraten soll, sowie die Einsetzung des Petitionsausschusses und des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung.
Mehr passiert erst mal nicht im Bundestag - weil ja niemand weiß, wie es weitergeht.
Viele Abgeordnete richten sich sogar schon wieder auf Neuwahlen im Frühjahr ein.
---> Wozu sich da also zu sehr parlamentarisch engagieren ?
Die SPD hat am Montag mit einstimmigem Vorstandsbeschluss den Gang in eine erneute Koalition mit der Union ausgeschlossen - dass entsprechende Bemühungen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier daran etwas ändern werden, ist sehr unwahrscheinlich.
Die Hoffnungen vor allem der Union, dass der Druck von Steinmeier und anderen gesellschaftlichen Kräften wie Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden die SPD zum Umdenken bewegen wird, dürften bald zerstoben sein.
Steinmeier spricht auch mit den Parteivorsitzenden der gescheiterten Jamaika-Sondierer, er hat an aller Verantwortungsbewusstsein appelliert, Erfolgsaussichten: auch hier gegen null.
---> Kann Deutschland von Minderheit regiert werden ?
Also steuert Deutschland wohl demnächst auf die Bildung einer Minderheitsregierung zu.
Nur mal zur Erinnerung: Die Rede ist von der größten Volkswirtschaft Europas, einem der wichtigsten Nato-Partner.
In Brüssel machen sich derzeit viele Sorgen um die politische Stabilität dieses Landes, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron suchte seit dem Jamaika-Scheitern mehrfach den Kontakt mit Merkel, in Großbritannien hofft die Regierung bereits, aus der deutschen Lage einen Vorteil in den Brexit-Verhandlungen zu gewinnen.
Irgendwann in den nächsten Wochen wird der Bundespräsident CDU-Chefin Merkel mit der Bildung einer Regierung beauftragen, weil sie aus der Unionsfraktion im Bundestag die meisten Stimmen auf sich vereinen würde.
Schafft sie in zwei Wahlgängen - im Abstand von zwei Wochen - keine absolute Mehrheit, reicht im dritten Durchgang die relative Mehrheit der Stimmen.
Dann hat es Steinmeier in der Hand: Er kann Merkel als Minderheitskanzlerin ernennen - oder den Bundestag auflösen, Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen wären die Folge.
----> Steinmeier gegen Neuwahlen
Der Bundespräsident hat signalisiert, dass er keine Neuwahlen will.
Aber eine Minderheitsregierung ?
Also werden unter der Hand sogar schon Termine genannt, an denen ein neuer Bundestag gewählt werden könnte: der 22. April 2018 beispielsweise.
Damit dieses Datum erreicht wird, müsste Steinmeier aber noch viele Wochen Gespräche führen, bis er Merkel mit der Regierungsbildung beauftragt. Schwer vorstellbar.
Auch die Idee, erst im Herbst zu wählen, parallel zu den Landtagswahlen in Bayern, kursiert. Wie das formal zu erreichen wäre ?
Völlig unklar.
Ob die SPD aus Angst vor Neuwahlen, bei denen sie möglicherweise nochmals verlieren würde, am Ende doch noch eine GroKo-Wiederauflage versucht ?
Oder kommt die FDP schließlich zurück an den Verhandlungstisch - und Jamaika gelingt ?
Der politische Nebel ist wirklich dicht in diesen Tagen.
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Quelle:
SPIEGEL ONLINE
Quelle der Quelle:
home.1und1.de/magazine/politik/wahlen/bundestagswahl/deutschland-jamaika-nebel-32640182
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